Band: Einstürzende Neubauten
Titel: Live At Rockpalast 1990 DVD + CD
Spielzeit: 71 Minuten
VÖ: 09.11.2012
Plattenfirma: MIG (Made In Germany)
Homepage: www.mig-music.de
Wertung: 8 von 10
Setlist
- Prolog
- Feurio
- Der Tod Ist Ein Dandy
- Sehnsucht
- Armenia
- Yu Güng
- Zerstörte Zelle
- Trinklied
- Ich Bin's
- Ein Stuhl In der Hölle
- Der Kuss
- Haus Der Lüge
- Kein Bestandteil Sein
- Zeichnungen Des Patienten O.T
- Sand
- Letztes Biest Am Himmel
Bohrmaschine, Stahlplatte, Winkelschleifer, Kettensäge, Einkaufswagen...die Liste der verwendeten "Instrumente" ist, nebst schlecht oder gar nicht gestimmten Saiteninstrumenten, lang und liest sich auf den ersten Blick durchaus merkwürdig. Dass die 1980 in Berlin gegründeten Einstürzenden Neubauten keine Band im klassischen Sinne sein konnten, war jedoch sehr schnell klar. Die Band um Gründungsmitglied und Wortkünstler Blixa Bargeld schuf einen Musikstil, der nicht nur schlecht in Schubladen zu packen war, sondern die Hörerschaft in Lager gespalten hat: Das der neugierig Interessierten, der um Verständnis bemühten und das der sich ob körperlicher Abwehrreaktionen die Finger in die Ohren steckenden.
Trotz eines anfänglich musikalisch-handwerklichen Dilletantismus auf der einen (gern als bewusste Provokation dargestellt), und einem späterhin poserhaft dargestelltem Bezug zur Kunstszene auf der anderen Seite, machten die Einstürzenden Neubauten sehr schnell einen international gefragten, weil einzigartigen Export-Act aus sich.
Die Neubauten hatten im September 1989 mit ihrem Haus der Lüge ein Meisterwerk deutscher Tonkunst eingespielt. Die Platte hatte im Gegensatz zu den ebenfalls starken Frühwerken ein noch stärker ausgeprägtes Konzept zur Grundlage, vor allem eines aber veränderte sich: Die Band wurde hörbar. Klarere Strukturen, eine glasklare, fette Produktion und eben die konzeptionelle Struktur (Zerstörung, Entstehung), die dem Hörer reichlich Futter für das Hirn und die Möglichkeit zur Interpretation bietet "Gott hat sich erschossen, ein Dachgeschoss wird ausgebaut", "Mittels Druck und Körperwärme wird aus unserer Konfusion eine Kernfusion und ungeheuer, ungeheuer viel Energie wird frei"...so und ähnlich zwang Blixa Bargeld den Hörer geradezu, sich seinen eigenen Reim aus seinen unzähligen Worthülsen zu machen, was nicht nur, aber insbesondere Haus der Lüge einzigartig in der deutschsprachigen Musikszene macht.
Ein Jahr später, am 24.November 1990 stand die Band auf der Bühne der Düsseldorfer Philipshalle. Anwesend nebst zahlreichen neugierigen Zuschauern war das WDR "Rockpalast"-Kamerateam, wohlwissend, einem musikalischen Ereignis ganz besonderer Güte beizuwohnen und dieses für die Nachwelt festzuhalten.
Blixa Bargeld, Alexander Hacke, N.U. Unruh, F.M. Einheit und Mark Chung spielen sich schnell in einen Fluss aus dosiertem Lärm und qüälender Stille, fesseln so das ruhig staunende Publikum. Blixa Bargeld, leichenblass und ausgemergelt (man ist irgendwie geneigt ihm ein Butterbrot zu reichen) zieht die Zuschauer von Anfang an in seinen Bann. Der bekannte Haus der Lüge-Prolog ( Meint ihr nicht...) ist kaum vorüber, da kehrt Bargeld mit seinen animalischen Schreien in Feurio sein Innerstes nach Aussen. FM Einheit hämmert auf mit Tonabnehmern versehene Metallplatten und Stahlfedern, N.U.Unruh schiebt Schrottplatten hin und her und klopft auf Stahlrohre. Zwischendurch kommen dann auch noch Einkaufswagen, Schwingschleifer und Mülltonnen-Schlagzeug zum Einsatz. Mark Chung steht an der linken Bühnenseite, schick gekleidet und bearbeitet mit stoischer Ruhe seinen Bass während Alexander Hacke vorne rechts seine elektrische Gitarre bearbeitet. Beide bilden den Gegenpol zur experimentellen Rhytmussektion Einheit/Unruh, während Blixa Bargeld inmitten dieser Gegensätze Klassiker wie Der Tod ist ein Dandy, Yu Güng, Ein Stuhl in der Hölle oder eben Haus der Lüge intoniert und zelebriert. Immer wieder sein Markenzeichen... kalte markerschütternde Schreie, die nicht nur dem Ersthörer eine Gänsehaut bescheren dürften.
Inmitten all der industriellen Kälte kehrt die Band dann für einen Moment auf die Erde zurück...als das Trinklied misslingt weil die Band schlichtweg vergessen hat wie es geht. Sehr sympatisch, wie Blixa dies dem Publikum auch sofort eingesteht.
Mit Sand liefern die Neubauten zum Schluss noch einen Lee Hazlewood Klassiker ab und beschliessen mit Letztes Biest am Himmel einen sehr gelungenen Auftritt.
Letztlich lässt sich sagen, dass die Band ihren Teil dazu beigetragen haben, trotz oder gerade wegen ihres polarisierenden Erscheinens, dass die deutsche Sprache bei vielen Musikfans weltweit durch die "Collapsing New Buildings" Beachtung gefunden hat. Heute werden die Einstürzenden Neubauten gern (und nicht zu Unrecht) mit Krautrock-Legenden wie Kraftwerk oder Can genannt, viele jüngere Bands wie Rammstein, Nine Inch Nails oder Depeche Mode zählen sie zu ihren Einflüssen. Das Goethe-Institut erkannte bereits 1986 das Potential der Berliner und schickte sie zur Expo nach Vancouver (nicht zum letzten mal) um der Welt auf beeindruckende Art und Weise die deutsche Kultur ein wenig näher zu bringen.
Was bekanntermaßen gelang...
Bernd Fischer
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